Aus den Scherben einer zerbrochenen japanischen Kleinfamilie entspringt dieser Höllenritt aus blitzschnellen Cuts, Split-Screens und Zeitsprüngen mitten rein in die wundersame, abgründige THE WORLD OF KANAKO.

Als die titelgebende Teenagerin (Newcomerin Nana Komatsu) spurlos verschwindet, macht sich ihr Vater Akihiro, ein abgehalfterter Ex-Cop, auf die Suche nach ihr. Je tiefer er aber in ihre privatesten Sphären eintaucht, desto erschreckender wird das Bild, das sich von der angeblich so braven Highschool-Schülerin ergibt. Es ist das einer erbarmungslosen Jugendkultur, weit entrückt vom elterlichen Wohnzimmer und der bürgerlichen Gesellschaft. Eine Szene an der Schnittstelle von pubertärem Gruppenzwang und organisierter Kriminalität, oder doch bereits weit darüber hinaus? Es beginnt mit Mobbing in der Schule und ausgelassenen Partys voller J-Pop-Grelle und führt geradewegs zu Drogenhandel und Prostitution.

Das alles entfaltet sich vor den delirierenden Augen Akihiros, dargestellt in einer intensiven Körperlichkeit von Kōji Yakusho (BABEL, 13 ASSASSINS, EUREKA). Jede Pore seiner abgewetzten Haut schreit nach Kettenrauch, Alkoholsucht und Tablettenmissbrauch. Dabei wollte er doch nur den schmerzhaften Erinnerungen der familiären Selbstzerstörung entkommen anstatt nun von ihren Folgen erschlagen zu werden.

Regisseur Testuya Nakashima (geb. 02.09.1959) hat sich in Japan ursprünglich mit seinen Musikvideos, Werbespots und Kurzfilmen einen Namen gemacht. Mit seinen Kinofilmen erreichte er aber auch im Westen Kultstatus. Sie zeichnen ein düsteres und verstörendes Bild der japanischen Gesellschaft und das in einer radikalen, hyperstilisierten Ästhetik, die dem Filmemacher zueigen ist. Man denke an die neongrelle Farbenwelt von MEMORIES OF MATSUKO über das Leben einer vereinsamenden und verwahrlosenden Frau, mit der Nakashima 2005 der Durchbruch gelang. Oder an den zeitlupengedränkten, mit zahlreichen Filmpreisen gewürdigten CONFESSIONS (2010), in dem eine Lehrerin einen perfiden Racheplan an ihrer Schulklasse übt, die sie für den Tod ihres Kindes verantwortlich hält. THE WORLD OF KANAKO bleibt dieser stilistischen Kompromisslosigkeit treu und es sind ihre poppigen, bisweilen trashigen Auswüchse die diese halsbrecherische Story verbaubar machen.

von Max Heermann

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